SVTL – Ofenhock 2024 – Versicherungen – Schadenrisiken im Auge behalten
Kühlaggregate können streiken, Temperaturen falsch eingestellt, Kontrollen versäumt werden und Fehler an der Rampe vorkommen: Was alles bei temperatursensiblen Transporten passieren kann und wie man auch mit «Kümmel» Vorsorge leisten kann, kam beim traditionellen «Ofenhock» des SVTL in Oberkirch zur Sprache.
Die bei Fracht-Ereignissen auftretenden Verluste, seien sie durch technische Fehler oder menschliche Versäumnisse bedingt, ob Pharma-Artikel, Elektronik oder Lebensmittel, machen aufgrund des empfindlichen und leicht verderblichen Transportguts allein schon in einem einzelnen Container schnell mal sechs- bis siebenstellige Summen aus. Die Ausführungen kompetenter Branchenexperten, die auf Einladung des Schweizerischen Verbandes rund 40 Teilnehmenden aufschlussreiche Einblicke in die Welt der Versicherungen in «dynamischen Bereichen» wie dem Seetransport von Frischfleisch, der Abwicklung von Schadensfällen und Arbeitsweise moderner Assekuranzen gewährten, stiessen an der Tagungsstätte in Oberkirch auf grosses Interesse.
Wer dröge Zahlen und Statistiken erwartet hätte, sah sich unter anderem durch den Juristen Marc Friedrich, Leiter der Regress-Abteilung des mit Büros in Bremen und Basel vertretenen und regelmässig mit Gutachten, Schadensfällen und Regressansprüchen befassten Beratungs-Unternehmens Reck & Co eines Besseren belehrt und mit teils frappierenden Beispielen konfrontiert.
So hält die Lieferkette etliche Fallstricke bereit, deren Auswirkungen nicht gleich erkennbar – weil verdeckt entstanden – sind, und bei der Ursachen-Suche oft einige Sachkenntnis erfordern. Reefer-Container, die auf Kühltransporte ausgelegt sind, können bei Ankunft der Ware am Bestimmungsort zunächst unverdächtige Temperaturen aufweisen. Erst Datenlogger, Temperatur-Recorder und sogenannte «Temp Tales», die den Verlauf und auch kurzfristige Unterbrechungen der Kühlkette aufzeichnen, geben Aufschluss über Schadensfälle, deren Gründe manchmal nur in wenigen Grad Temperaturunterschied – oder auch nur Bruchteilen davon – zu suchen sind.
Weil zudem in nur wenige Meter voneinander entfernten Bereichen schon innerhalb eines Containers unterschiedliche Temperatur-Zonen auftreten können, sollten bereits innerhalb der Standardbehälter räumlich versetzte Positionen, an beiden Ende und ebenso in halber und ganzer Höhe, für die Daten-Erfassung durch Sensoren bestimmt werden. Wichtig bereits beim Beladen auch eine ausreichende Luftzirkulation, deren mangelnde Beachtung und daraus resultierende Fehltemperaturen schon manchem Versender böse Überraschungen beschert haben. Ebenso wichtig die Vorkühlung und Vortemperierung der Container, sowie «Pre-Trip-Inspektionen», die stichprobenartig auch von den Versicherungen vor Ort in Auftrag gegeben werden
Zeugnis vom Sorgfalt verlangenden Umgang mit Frischfleisch legt ein von Friedrich präsentiertes Beispiel einer Lieferung von 478 Kartons mit 12 t Rindfleisch aus Montevideo nach Rotterdam ab. Eigentlich nicht sonderlich aufwändig erscheinende minus 1,4 Grad waren verlangt, da bereits geringe Temperatur-Schwankungen das im Premiumbereich angebotene Frischfleisch in Mitleidenschaft ziehen. Ein kurzzeitiger Temperaturanstieg an einem Tag im April wurde zwar schnell wieder korrigiert und auf die geforderte Regeltemperatur gebracht. Doch der Gefrierpunkt von Frischfleisch liegt zwischen Minus 1,5 bis 1,8 Grad Celsius (real: minus 3 bis 4 Grad) – und nicht bei exakt 0° Celsius, wie es bei Wasser der Fall ist. Tauwasser sammelte sich in den Verpackungen an, durchnässte 1/3 der Ware und machte ein weiteres Drittel ungeniessbar.
Die Reederei behauptete, die Ware sei bereits in Montevideo zu warm verladen worden. Logger hatten die Temperaturspitze aufgezeichnet, der Transport-Auftragnehmer indessen behauptete, es seien «gar keine Aufzeichnungsgeräte an Bord gewesen». Da auch Datenbestände manipulierbar und je nach Kalibrierung und Zertifikatszustand anfechtbar sind, sei schliesslich ein Vergleich herausgek ommen, so Friedrich.
«Leider ist das internationale Seehandelsrecht nicht einheitlich», sagt der Experte. Gerichtsstandorte und Rechtsprechungen in New York, London oder Marseille können zu ganz unterschiedlichen Urteilen führen. Die Rechtslage bestimmt sich nach zuvor geschlossenen und von den Beteiligten unterzeichneten Vereinbarungen, die «oft nicht genau gelesen werden», (…) und – falls anwendbar – nach internationalen Konventionen, wie den Hague-Visby-Rules. Letztere stammen noch aus dem Jahr 1968.
Markus Minder von der «Helvetia», die mit einer Spezialabteilung («Specialty Lines») auf die Sparten Engineering/Technische, Transport/Marine, Aviation, Space und Kunsttransporte in der Schweiz sowie den internationalen Märkten wie Asien und Lateinamerika abonniert ist, bestätigt den Stellenwert des «Kleingedruckten» und eines ausdrücklichen «Risk Managements» bei den Sicherungs-Massnahmen. Als Vorsorgeleistung übernehmen Versicherungen oft bis zu 100.000 Franken, um Kontrolleure (surveyors) vor Ort einen Blick auf die korrekte Handhabung der Ware, beispielsweise auch die Einstellung der richtigen Temperatur, werfen zu lassen.
Zu den Risiken gehören im Lkw-Verkehr natürlich auch Frachtdiebstähle, von denen allein im Juni europaweit 919 Vorfälle registriert wurden – davon 109 auf nicht klassifizierten Parkplätzen. Versicherungen legen Wert darauf, dass Camioneure sich nach jedem Halt von der Unversehrtheit von Siegeln, Türen, Schlössern und Verschlüssen überzeugen. Um der versehentlichen Mitnahme von «blinden Passagieren» vorzubeugen, wird sogar empfohlen, bei Touren nach Grossbritannien 200 km vor Calais und vor dem Eurotunnel gar keine Pausen mehr einzulegen – und in den AGB festzulegen, dass der Transporteur nicht für Schäden durch «blinde Passagiere» hafte.
Apropos «Versicherung», sagte sich der SVTL-Vorstand, und liess auch Thomas Keller und Tobias Spychiger vom Versicherungs-Anbieter NVC, neu in den Reihen der Mitglieder, Raum, ihre Vorstellungen von zeitgemässer Versicherung der Arbeitnehmer und optimierter Alterversorgung durch eine angepasste Struktur der beruflichen Vorsorge gemäss BVG zu präsentieren. «Kümmel» spiele hier eine besondere Rolle: nämlich als Acronym für «Kontrolle, Übersicht, Mitarbeiterorientierung, Marktanalyse, Einsparungen und Lösungen», das die beiden humorvoll als «Reminder» in Form von Salzstangen mit – dito – echtem Kümmel an die Teilnehmenden verteilten. SVTL-Präsident Marco Manzetti und weitere Teilnehmende wie STEF-Geschäftsführer Hanspeter Harnisch bestätigten, dass die berufliche Vorsorge bei jungen Leuten, die ins Berufsleben eintreten, nach wie vor eine grosse Grauzone sei. «Den meisten sind die Rentenbedingungen zu diesem Zeitpunkt völlig egal». Umso wichtiger sei es, hier beratend tätig zu sein.
Merke: Ist der Kunde schlecht versichert, hat sich’s schnell mal ausgekichert.
PS: Natürlich wurde, auch wie üblich, dieser Tolle Anlass durch einen Apéro sowie einem feinem Z’Nacht abgerundet. Toller Austausch und Gespräche und sehr gute Netzwerkmöglichkeiten!
Bericht: Klaus C. Koch
Bilder : Klaus C. Koch & SVTL